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Typografie: Alte und neue Schriftklassifikationen

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Wer setzt, designt oder typografisch gestaltet, hat mit Schriften zu tun. Hilfreich ist es zu wissen, welche verschiedenen Schriftklassen es gibt, wofür welche Schriften eingesetzt werden und wie man sie mischt.

Serifenlose Schriften und Serifenschriften

Dabei sind Serifenschriften und Serifenlose die Grundlage. Hier stehen sich Schnörkel und Schwung sowie Reduktion der Form bzw. Einfachheit gegenüber. Mit vier Klassen von Schriften werden die meisten Gestalter schon zu tun gehabt haben:

  • Serifenschrift = Antiqua: lesbar, emotional, literarisch (Strichstärke moduliert).
  • Serifenlose = Grotesk = Linear-Antiqua: sachlich, zeitlos, modern, zweckorientiert (Strichstärke gleichförmig).
  • Egyptienne = Slab Serif = Serifenbetonte Linear-Antiqua: deutlich, einfach (Strichstärke homogen, Serifen betont.).
  • Gebrochene Schriften = Broken Scipt: Schriften, deren Bögen abrupte Richtungswechsel aufweisen. Wirken historisch und nicht zeitgemäß.

Blickt man auf die Fontshopübersichtsseite zeigt sich folgende schriftstilistische Übersicht aus der Praxis des Typografen:

Egyptienne und Slab-Serif

Neben der Sans (serifenlos) und der Serif (mit Serifen) gibt es die Slab-Schriften (Egyptienne) wie auch schon oben beschrieben. Vor den Blackletter-Schriften (gebrochene Schriften) kommen Script (Schreib- und Handschriften) und Display (Headline-Schriften/Überschriften für große Schriftgrade). Außerdem Piktogramm- und Symbol-Zeichensätze und nicht lateinische, nicht-westliche Schriften.

Displayschriften für große Schriftgrade und dekorative Formen

Während Sans, Serif, Slab und Blackletter bezüglich ihrer Attribute einheitlich definiert sind, sind die Displayschriften ein Sammelbegriff für den Headlinesatz, in die alle vorgenannten Schriftklassen Eingang finden können. Hinzu kommen dekorative Schriften, die im verkleinerten Schriftsatz z.B. für den Buch- oder Zeitschriftensatz keinen Sinn machen würden, weil sie zulaufen würden. Spezielle Headlineschriften z.B. aus den 1960er Jahren oder den 1970er-Jahren waren immer wieder mal Ausgeburt einer bestimmten Epoche und wirken heute entweder antiquiert oder retro.

Ein Beispiel für eine Schrift, die sich für besondere Einsatzzwecke im Editorialdesign eignet nicht aber für kleine Schriftgrade ist die Macula, die auf Studien zu optischen Täuschungen aus den 1930er-Jahren (wie bei M. C. Escher) basiert:

Headlinesatz und Überschriften

Displayschriften können aber auch ganz herkömmliche Schriften sein, egal ob Antiqua oder Grotesk. Ihr Einsatzzweck richtet sich nach dem beabsichtigten Ausdruck oder nach dem typografischen Konzept. Schriften für Überschriften sind nicht die gleichen wie beim Mengensatz.

DIN-Norm für die Schriftklassifikation

Die Deutsche DIN-Norm 16518 hat die Klassifizierung der Schriften geregelt. Die Klassifikation bezieht sich auf Epochen und Kulturkreise, die typische Buchstabenformen hervorgebracht haben. Sie ist in 11 Gruppen unterteilt:

  • Gruppe I: Venezianische Renaissance-Antiqua
  • Gruppe II: Französische Renaissance-Antiqua
  • Gruppe III: Barock-Antiqua
  • Gruppe IV: Klassizistische Antiqua
  • Gruppe V: Serifenbetonte Linear-Antiqua
  • Gruppe VI: Serifenlose Linear-Antiqua
  • Gruppe VII: Antiqua-Varianten
  • Gruppe VIII: Schreibschriften
  • Gruppe IX: Handschriftliche Antiqua
  • Gruppe X: Gebrochene Schriften
  • Gruppe XI: Fremde Schriften

Kritik am System der typografischen DIN-Norm

Unter der Gruppe VI: Serifenlose Linear-Antiqua findet man alle Grotesk-Schriften und damt auch einen beträchtlichen Teil jener Schriften, die völlig neu entwickelt werden. Damit sind aber im Grunde alle modernen Schriften nur in dieser einen Gruppe zu finden, was das Bild zeitgemäßer Typografie (quantitativ) verfälscht. Die Kritik am DIN-System der Schriftenklassifikation hat zu Alternativmodellen geführt.

Schrift-Klassifikation nach Beinert

Die Beinert Klassifikation von Wolfgang Beinert aus dem Jahr 2001 orientiert sich an zeitgemäßeren Einsatzzwecken für Schriften. Dabei stehen Antiqua und Grotesk wie die Egyptienne gleichberechtigter nebeneinander.

  • Antiqua
  • Egyptienne
  • Grotesk
  • Corporate Typography Fonts
  • Zierschriften
  • Bildschirmschriften
  • Gebrochene Schriften
  • Nichtrömische Schriften
  • Bildzeichen

Formprinzip und Stilprinzip nach Willberg

Durchgesetzt hat sich aber vor allem eine Klassifikation zugleich nach Stil und Form der jeweiligen Schrift von Hans Peter Willberg und Indra Kupferschmid, die z.T. bereits auch an Hochschulen gelehrt wird. Die Klassifikation erfolgt dabei immer in der Kombination eines Form-Prinzips mit einem Stil-Prinzip. Das sind:

1. Form

  • Antiqua
  • Antiqua-Varianten
  • Grotesk
  • Egyptienne
  • Schreibschriften
  • Fremde Schriften

2. Stil

  • Dynamisch (humanistisch)
  • Statisch (klassizistisch)
  • Geometrisch (konstruiert)
  • Dekorativ
  • Provozierend

Schriftklassifikation für mehr Verständnis von Typografie

Schriftklassifikation ist nicht nur akademisch-ordnend. Ihre Praxisrelevanz im Designprozess liegt darin, dass man die wenigen Prinzipien von Schriftfamilien und Schriftarten besser durchdringt und so zielgerichteter über den Schrifteinsatz und vor allem Schriftkombinationen nachdenken kann. Denn wesentliche Aspekte, um Schriften zu mischen, sind der Charakter der Schrift und ihre Strichstärke – typische Merkmale auch innerhalb von Schriftklassen.

Kontrastierende oder harmonisierende Typografiewirkung

Dabei ist grundsätzlich die Entscheidung zu treffen, ob man typografisch eher kontrastierend oder eher harmonisierend arbeiten will. Innerhalb großer schriftklassenübergreifender Superschriftfamilien oder Schriftsippen ist ein harmonisches Miteinander der verschiedenen Schriften möglich. Die klassische Typografie geht aber von Kontrastierungen aus, wobei serifenlose Schriften als Headlineschriften oder Zwischentitel genutzt werden und Serifenschriften für den Mengensatz.

Schriftmischung ist eine Kunst für sich

Sobald man von diesem Prinzip abweicht, das klar differenzierbare unterschiedliche Schriftcharaktere miteinander koppelt, sind einige grundlegende Fehler zu vermeiden, bei denen die Schriftklassifikation bei der Schriftmischung helfen kann: Zum Beispiel sind Schriften gleicher Gruppen im Bereich der Serifenschriften oder der gebrochenen Schriften schwer oder gar nicht kombinierbar, zum Beispiel eine klassizistische Antiqua wie die Didot oder Bodoni, die eine konzeptionell-konstruktive Verwandtschaft haben. Klassizistische Schriftarten sind auch nicht mit Barock-Antiqua-Schriften oder Renaissance-Antiqua-Schriften kombinierbar.


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